Mein Hund ist ein Jäger

Jagen – normal, aber unerwünscht
Ob Mischling oder Rassehund, ob klein oder gross: Jeder Hund, auch derjenige, der nicht als Jagdgebrauchshund gezüchtet und ausgebildet wurde, ist in seinem Ursprung ein jagendes Tier. Die Veranlagung zum Jagen ist bei einigen Individuen stärker vorhanden als bei anderen. Das Ausmass der Jagdlust wird beim Hund naturgemäss gefördert durch Früherfahrungen beim Welpenbesitzer. Aber auch das Temperament jedes einzelnen Hundes spielt eine bedeutende Rolle. Alles, was sich schnell fortbewegt, das „flüchtet“, kann ein Reizobjekt sein: ein Schmetterling, ein davonfliegender Ball oder ein Stock, eine rennende Person, ein Radfahrer, ein vorbeiflitzendes Auto, aufgescheuchte Vögel, eine Katze, ein Eichhörnchen, flüchtendes Wild. Aus verschiedenen Gründen darf ein Familienhund in unserer Gesellschaftsordnung dieses eigentlich normale Verhalten – das Jagen – nicht ausleben. Es liegt an uns, die Jagdlust unseres Vierbeiners vom Welpenalter an in geordnete Bahnen zu lenken und den Hund so zu erziehen, dass wir ihn auf Spaziergängen jederzeit wirksam unter Kontrolle haben. Das heisst: Der Hund hat sich jederzeit in Ruf-, Hör- und Sichtweite zu befinden. Je häufiger es einem Hund gelingt, seine Jagdpassion auszuleben, desto schwieriger wird es sein, ihm das aus unserer Sicht unerwünschte Verhalten wieder abzugewöhnen.

 

Erziehung zum nicht jagenden Begleiter
In erster Linie geht es also darum, die Jagdlust des Hundes auf dem Spaziergang von Anfang an zu unterbinden beziehungsweise – wie für alle unerwünschten Verhaltensweisen – gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es wäre allerdings kontraproduktiv, den Hund deshalb nur noch an der Leine spazieren zu führen oder den Wald zu meiden, um so zu verhindern, dass er beispielsweise Wild aufstöbert. Der Hund kann nur lernen, was wir von ihm erwarten, wenn wir den entsprechenden Situationen nicht aus dem Weg gehen oder sie sogar provozieren. Die häufigsten Ursachen dafür, dass der Hund unterwegs ausser Kontrolle gerät und nicht mehr abgerufen werden kann, sobald er etwas riecht, sieht oder hört, das er jagen könnte, sind Bewegungsmangel, Langeweile und unsichere Bindung zur Bezugsperson. Hand aufs Herz: Wie abwechslungsreich und spannend ist der tägliche Ausflug durch Feld und Wald für Ihren Hund? Ein Spaziergang, der immer über die gleiche Strecke führt, und auf dem Sie wort- und tatenlos mit Ihrem Hund durch die Gegend schlendern, ist für einen vierbeinigen Begleiter schlicht todlangweilig. Kein Wunder, dass sich Ihr Hund nach interessanteren Aktivitäten umsieht. Auf anregenden Spaziergängen ist der Hund in einem Mass abgelenkt, dass er kaum mehr Zeit und Energie zum Abhauen haben dürfte.

 

Tipps für den täglichen Hundespaziergang
• Wandern Sie mit Ihrem Hund zügigen Schrittes und wechseln Sie immer wieder das Gebiet, in dem Sie Ihren Vierbeiner spazieren führen. Verhalten Sie sich ruhig, geben Sie klare Befehle und verwenden Sie vor allem immer denselben Begriff für eine bestimmte Übung, die er ausführen soll. Loben Sie stets erst dann, wenn er etwas richtig ausgeführt hat und sich auf Sie konzentriert – dann aber von ganzem Herzen! Auf den richtigen Moment kommt es an!


• Beschäftigen Sie sich mit Ihrem Hund. Ihrem Ideenreichtum sind keine Grenzen gesetzt: Suchen Sie mit ihm nach versteckten Gegenständen, Begleitpersonen, Leckerchen. Üben Sie kleine Kunststücke, wie beispielsweise über einen Baumstamm zu balancieren, auf einem Baumstamm zu sitzen und zu warten. Lassen Sie Ihren Schlüsselbund, Ihren Handschuh oder den Pullover fallen, und schicken Sie den Hund nach 20 oder 50 Metern auf die Suche nach dem verlorenen Objekt. Ebenso ratsam ist es, auf jedem Spaziergang nur ganz kurz etwas Unterordnung zu üben oder eine kleine Fährte auszuarbeiten.

 

• Führen Sie mit Ihrem Hund viele, verschiedene Abrufübungen durch oder verstecken Sie sich überraschend und rufen Sie den Hund einmal kurz bei seinem Namen: Für jedes Herkommen wird der Hund auf andere Weise belohnt. Einmal darf er mit seinem Lieblingsgegenstand spielen, einmal wird er verbal überschwänglich gelobt, einmal erhält er Leckerchen. Leinen Sie den Hund nach erfolgreichem Abrufen nur selten an – in der Regel soll er sich nach erfolgreichem Abrufen wieder frei bewegen dürfen. Nehmen Sie eine Bauchtasche mit Leckerchen und Spielsachen auf den Spaziergang mit. Für den Hund wird sie zur Wundertüte, in der Sie für jedes Herkommen eine andere Überraschung bereithalten.


• Gewöhnen Sie dem Hund von klein auf an, sich auf Spaziergängen nicht weiter als 15 bis höchstens 20 Meter von Ihnen zu entfernen. Je grösser sein Bewegungsradius, desto schwieriger ist es, den Hund zu beeinflussen.

 

• Bringen Sie Ihrem Vierbeiner schon als Junghund bei, auf Distanz zu gehorchen. Richtig vermittelt, wird ein junger Hund damit nicht überfordert. Selber habe ich diesbezüglich nur positive Erfahrungen gemacht, und es ist sehr angenehm, wenn der Hund die Befehle „steh“, „sitz“ und „platz“ auf Distanz beherrscht. Lassen Sie sich von vertrauenswürdigen und erfahrenen Ausbildungspersonen helfen.


• Durch tägliches Beobachten – ganz besonders auch auf dem Spaziergang – lernen Sie Ihren Hund aus dem Effeff kennen und wissen mit der Zeit, in welchen Situationen er wie reagiert. Sie lernen seine Mimik, Gestik und Verhaltensweisen zu interpretieren. Der Hund zeigt uns indirekt dadurch sein Vorhaben an. Diese Verhaltensweisen und Signale sofort zu erkennen, gibt Ihnen die Gelegenheit, rechtzeitig einzugreifen, um das zu verhindern, was er im Schilde führt. Es ist zwar höhere Kunst, den Hund im letzten Moment noch zu erwischen, bevor er abhaut. Es ist aber möglich ...


• Rufen Sie Ihren Hund unverzüglich zurück, wenn er mit der Nase im Wind vom Weg ab ins Dickicht oder ins hohe Gras hopst und „kopflos“ umherzuirren beginnt. Reagieren Sie sofort, und unternehmen Sie alles, dass der Hund auf Sie aufmerksam wird.

 

Das Abgewöhnen der Jagdlust
So weit, so gut. Was ist aber zu tun, wenn der Hund – aus welchen Gründen auch immer – bereits auf den Geschmack des Jagens gekommen ist? Die hier vermittelten Tipps sind vielleicht etwas unkonventionell, ziemlich anstrengend zum Ausführen und erfordern viel Wille, Geduld und Durchhaltevermögen. Es handelt sich aber um gewaltlose und schmerzfreie Methoden, die sich in der Praxis mehrfach bewährt haben. Die von bekannten Kynologen meist gepredigten Methoden sind leider tierschutzwidrig und deshalb abzulehnen; es ist verwerflich, „den Hund in den ersten sechs Lebensmonaten ausserhalb des eigenen Grundstücks nicht von der Schleppleine zu lassen“. Zum Abgewöhnen der Jagdpassion untaugliche Mittel sind auch die „Schleppleine, verbunden mit
starkem Ruck“, ein „kurzer, starker Schlag mit einer Weiden- oder Haselrute oder mit der Leine“, der Einsatz von „Teletac-Geräten“ oder Eigenkonstruktionen von so genannten „Abrufgeräten“.
Folgende Massnahmen haben sich aus eigener Erfahrung bewährt, um einem Hund mehr oder weniger ausgeprägte Jagdlust abzugewöhnen:

• Unternehmen Sie alles, um die Bindung des Hundes an Sie als wichtigste Bezugsperson zu verbessern; dazu braucht Ihr Hund viel Zeit, Zuwendung und gemeinsame, tiergerechte Beschäftigung.


• Gestalten Sie den Spaziergang, wie oben beschrieben, abwechslungsreich und spannend, und wandern Sie zügigen Schrittes nicht immer auf denselben Wegen und im selben Gebiet.

 

• Weichen Sie den Problemsituationen nicht aus. Ihr Hund lernt nichts, wenn Sie beispielsweise grundsätzlich den Wald meiden, wenn er vorzugsweise im Wald abhaut. Er lernt auch nichts, wenn Sie ihn in Problemsituationen anleinen. Angenommen, Ihr Hund geht mit Vorliebe auf Jagd, sobald er sich im Wald befindet: Behalten Sie Ihren Hund neben sich locker bei Fuss, ohne Leine, und zwar von derjenigen Stelle an, wo die Jagdlust Ihres Vierbeiners üblicherweise zu erwachen beginnt. Spielen Sie mit seinem Lieblingsspielzeug mit ihm. Rennen Sie mehr oder weniger kurze Strecken mit dem Hund, und machen Sie überraschende Kehrtwendungen. Fördern Sie den Blickkontakt. Loben Sie ihn für sein erwünschtes Verhalten verbal, mit intensiv kontrolliertem Spiel und belohnen Sie ihn hier und da mit einem Leckerchen dafür, dass er bei Ihnen bleibt. Versuchen Sie, die Aufmerksamkeit Ihres Tieres voll und ganz auf sich zu lenken. Gehen Sie so ein kurzes Stück durch den Wald, der Hund folgt Ihnen frei auf der ganzen Strecke. Mit der Zeit (es kann sich um Tage oder Wochen handeln) lassen Sie es zu, dass der Hund seinen Bewegungsradius vergrössert – auf einen Meter, zwei Meter, drei Meter; nur so weit, dass Sie sicher sind, dass Sie Ihren Hund noch mit scharfer Stimme zurückhalten oder ihn blitzschnell am Halsband festhalten können, bevor er abhaut. Dies erfordert ununterbrochene Konzentration auf den Hund. Wenn Sie Ihren Hund nicht mehr jede Sekunde beobachten können, weil Sie sich vielleicht mit Ihrer Begleitperson unterhalten möchten, dann leinen Sie den Hund für den Rest des Weges an.

 

• Wenn Sie Ihrem Vierbeiner das Jagen abgewöhnen wollen, vermeiden Sie es vorläufig, gemeinsam mit anderen Hunden zu spazieren – jedenfalls nicht in den Spaziergebieten, in denen Ihr Tier abzuhauen pflegt. Zwei oder mehr Hunde zusammen sind unberechenbarer und schwieriger zu beeinflussen. Wenn Ihr Hund einmal so weit ist, dass er auf dem Spaziergang nicht mehr jagt, können Sie es wagen, ihn wieder zusammen mit Artgenossen laufen zu lassen. Lassen Sie ihn aber keinen Moment aus den Augen und behalten Sie ihn in Ihrer Nähe. Wenn Sie abgelenkt sind, leinen Sie Ihren Hund besser an.


• Hunde mit ausgeprägter Jagdpassion werden vor dem Spaziergang ausgiebig bewegt. Es hat sich bewährt, den umzuerziehenden Vierbeiner vor dem Ausflug durch Feld und Wald am Fahrrad an der Leine laufen zu lassen, bis er sein Temperament „runtergefahren“ hat und müde ist. Im Anschluss an die mehr oder weniger lange Radtour – je nach Kondition des Hundes – machen Sie sich auf den Spaziergang, lassen den Hund von der Leine und halten sich an die oben erwähnten Tipps.

 

Ein weiterer Trick, der sich zur Umerziehung von sehr verfressenen Jägern bewährt hat:

• Die zwei Mal täglich zu verabreichenden Mahlzeiten erhält der Hund auf dem Spaziergang. Man macht zur Fressenszeit folgendes „Ritual“: Bereiten Sie zu Hause übertrieben sorgfältig ein besonders leckeres Fressen für Ihren Hund zu. Lassen Sie ihn zuschauen, und machen Sie ihn absichtlich so richtig „hungrig“. Geben Sie dann das Futter vor den Augen des Hundes beispielsweise in ein Tupperware, wickeln Sie dieses in Zeitungspapier und packen Sie das „Fresspäckchen“ in einen Rucksack. Nun machen Sie sich auf den Weg. Unterwegs machen Sie den Hund immer wieder auf den Inhalt Ihres Rucksacks aufmerksam. Verhalten Sie sich nach den eingangs genannten Tipps. Wenn der Hund wieder einmal abhauen will, lenken Sie ihn blitzschnell von seinem Tun ab. Kehrt er zurück, belohnen Sie ihn mit dem Futter aus dem Rucksack. Lassen Sie sich Zeit beim Auspacken des aufwändig verpackten Hunde-Picknicks; der Hund soll beim Zuschauen gespannt auf sein Futter warten. Schon nach wenigen Tagen kennt der Hund das neue Fressritual. Das Füttern unterwegs sollte aber immer überraschend und nie an der gleichen Stelle erfolgen. Spricht Ihr Hund gut auf diese Methode an, können Sie ihn ohne weiteres über längere Zeit auf dem täglichen Ausflug füttern. Wiederholen Sie das neue Fressritual nicht zu häufig.